Lady Gaga und meine Akten
Ich habe zur Zeit das Gefühl, es geht vielen so wie mir. Leicht antriebslos, etwas gedämpft, weniger energievoll als sonst. Klingt vertraut für dich? Ein Kollege sagte neulich Corona-Blues dazu.
Mich hat Lady Gaga aus der Lethargie gerissen. Ich habe das Video gesehen, wie sie letzte Woche bei Bidens Amtseinführung die amerikanische Nationalhymne geschmettert hat. Der Paukenschlag am Ende der ganzen Veranstaltung war ja zudem ein riesiges Feuerwerk, das seine ganze Wucht erst entfaltet, wenn man Katie Perry dazu ihr „Firework“ singen sieht. Amerikanischer, patriotischer Bombast, na klar. Aber ich spürte trotzdem noch etwas: Aufbruchstimmung!
Da dämmerte mir etwas. Die in Washington haben viel weniger Publikum gehabt als sonst, dann haben sie eben die Energie durch inbrünstiges Singen und bombastische Feuerwerke erzeugt. Ich selber habe mich davon dämpfen lassen, dass der Jahreswechsel diesmal ein etwas lasches Hinübergleiten war. Ohne Pomp und Paukenschlag, Philosophieren mit Freunden und riesige Party mit Fremden, was ich sonst gerne mag. Kein Abschluss, kein Anfang.
Am nächsten Tag im Büro schlug meine Stunde. Womit kann ich symbolisch einen Paukenschlag setzen? Mit Kram wegwerfen! Ärmel hoch, und raus mit den dicken Aktenordnern, die ich nach zehn Jahren wegwerfen darf. Erst durch den Schredder, dann in hohem Bogen ins Altpapier. Ich habe mich ganz bewusst an den Container gestellt und dem inneren Gefühl nachgespürt, dass etwas Altes geht und so Platz für etwas Neues macht. (Übrigens: Papierordner, ernsthaft? Vor zehn Jahren hatte ich das noch, heute ist alles in der Cloud.)
Ich habe etwas gelernt: ich brauche Rituale für Übergänge und für meinen eigenen Schwung. Und wenn die Welt da draußen mir solche Rituale nicht ermöglicht, dann gestalte ich mir eben selbst welche. Ganz bewusst und nur für mich.